Montag, 28. April 2014

Unaufrichtig, nervig, penetrant – Warum Werbung nicht mehr ist als „Kauf, Du Arsch!“



Ihr müsst jetzt ganz stark sein. Die Piermont-Kirsche ist gar keine real existierende Kirschsorte. Für Mon Cherie verwendet der Ferrero-Konzern Kirschen aus Polen, Chile und Deutschland. „Piermont Kirschen“ ist nur eine eingetragene Marke. Das berichtet das Wirtschaftsmagazin BRAND EINS in seiner Ausgabe mit dem Schwerpunkt Werbung und dem schönen Titel „Kauf, Du Arsch“.

Ja, Werbung lügt. Oder sie dehnt zumindest die Wahrheit. Das ist für Marketingexperten nichts Neues. Viel schlimmer ist die Diagnose, die BRAND EINS für das Verhältnis zwischen Konsumenten und Werbung abgibt: Werbung war mal ein Partner der gute Ideen und lieferte echte Angebote. Doch die Beziehung ist gestört. Und für uns Studenten des Online-Marketings noch schlimmer: Die digitale Weltrevolution optimiere die Penetranz der Werbung.  

BRANDEINS schießt sich besonders auf den Bereich Onlinewerbung ein. In einem nicht repräsentativen Test (Seite 82 – 83) schaltet das Wirtschaftsmagazin digitale Werbung für Probeabos. Mit Bannerwerbung für 250 Euro auf einer Nachrichtenseite wird kein Abo verkauft. Das gleiche negative Ergebnis wird über Suchmaschinenwerbung erreicht. Einzig und allein via Facebook kommen 11 Probeabos zustande.

In einem längeren Bericht geht es dann auf den Seiten 84 bis 89 ans Eingemachte. Laut ZAW lagen die Netto-Erlöse für klassische Onlinewerbung (Display und Video-Ads ohne Suchmaschinenmarketing) bei 1,1 Milliarden Euro. Das sind weniger als 6 % vom Gesamtwerbekuchen. Onlinewerbung steigert sich zwar Jahr für Jahr aber das Niveau bleibt niedrig. Sogar niedriger als erwartet und gestützt durch enorme Rabatte. Ein Blick auf das Mobile Advertising ist noch ernüchternder: Hier werden nur 105 Millionen Bruttoerlöse für 2013 aufgezeigt. Gewinner ist Google mit seiner Suchmaschinenwerbung.

Warum ist das so? Berater Nicolas Clasen liefert in seinem Buch „Der digitale Tsunami“ sieben Antworten, die BRAND EINS ausführlich präsentiert:
  1. Es gibt zu viel Platz für Reklame und die Werbefläche werden deshalb nicht lukrativ vermarktet.
  2. Der Rückkanal wird ignoriert. Onlinewerbung kann oftmals nicht ausgeschaltet werden z.B. bei Spiegel-Online. Google macht es dagegen besser: Bei Youtube kann Werbung weggeklickt werden. Oder es wird wie bei AdWords nur gezahlt, wenn der Kunde geklickt hat.
  3. Die Konversationsrate von Bannerwerbung ist seit Jahren im Sinkflug. Nur noch jeder 10.000 findet Werbung so interessant, dass er darauf klickt. Die Antwort darauf sind PopUps. Deshalb redet der Autor von „Vorstandsbuchungen“, die nach dem TKP ohne Rückkanal  abgerechnet werden. Das haben wir schon gelernt: Displaywerbung ist dann nur noch reines Branding.
  4. Das Retargeting durch Cookies führt zwar zu erhöhten Klickraten, verstört aber auch die Kunden, die sich zunehmend beobachtet fühlen.
  5. Es fehlt an Durchblick. Nur 15 % der Werbetreibenden glauben noch einschätzen zu können, welchen Beitrag einzelne Werbeformen zum Marketingerfolg des Unternehmens leisten.
  6. Beim Fernsehen will der Nutzer entspannen und ist anfällig für (gut gemachte) Werbung, die sich im Kopf einnistet ( Branding). Internetuser sind aktiv  bzw. interaktiv. Das ist gut für Suchmaschinenwerbung aber schlecht für Banneranzeigen. Branding ist viel schwerer als im TV.
  7. Drei Trends werfen das Onlinemarketing zurück: Die Nutzung unterschiedlicher Endgeräte erschwert die Datenauswertung.  Das Löschen der Cookies macht das Nachverfolgen der Nutzer im Netz unmöglich. Die kleinen Bildschirme der Smartphones sind wenig geeignet für Werbung.
Aber es gibt auch Hoffnung, zum Beispiel beim Thema E-Mail-Marketing. Laut „Dialog Marketing Monitor“ der deutschen Post nutzten zwar nur 20 % der Unternehmen 2012 Werbung per E-Mail. Vor allen kleine Firmen verweigern sich, weil die Akzeptanz der Kunden abnehme. Die Berliner Firma Native Instrument zeigt auf den Seiten 76 bis 79, wie es richtig geht.  Weil sie relevante und interessante News an die Empfänger verschickt. Weil sie die Sprache der Zielgruppe trifft und die Herausgeber verstehen, wovon sie sprechen. Und weil sie die richtige Software nutzen, um viele Informationen über das Verhalten ihrer Zielgruppe zu gewinnen.

Werbung muss im Schwerpunktthema von BRAND EINS viel Kritik einstecken. Bleibt die Frage, wie es weitergehen soll und wo Lösungsansätze liegen. Der Hamburger Werbeberater Matthias Maschmann empfiehlt den Unternehmen, sich auf die grundlegende Frage zu besinnen: Welche Probleme lösen wir als Unternehmen für die Menschen? Authentizität, Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit würden zwar altmodisch klingen, seien aber die Stoffe, die in der Werbung Zukunft hätten. 

Im Zeitalter von Social Media und Cluetrain-PR scheint das die richtige Antwort zu sein. Aber auch hier greifen bereits die altbekannten Werbereflexe. So zahlen Modeunternehmen zwischen 50 bis 400 Euro für freundliche Kommentare von Bloggern. Und damit sind wir wieder bei der Piermont-Kirsche angelangt.

BRAND EINS erscheint monatlich und kostet zur Zeit 8,50 Euro. Die Mai-Ausgabe widmet sich dem Thema „Wie war ich? Kunden wollen mehr. Schwerpunkt: Im Interesse des Kunden“ und ist auf www.brandeins.deund im gut sortierten Zeitschriftenhandel erhältlich.

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